Ferdinand von Schirach: Kaffee und Zigaretten

Ferdinand von Schirach ist einer der Grossen. Sein Buch Kaffee und Zigaretten trägt den Titel «Weltbestseller». Seine Kolumnen, Texte, Bücher liest man überall in der Welt. Zahlreiche seiner Titel wurden mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Er gehört zu den wenigen deutschen Autoren, die es auf internationales Terrain geschafft haben. Aber was macht ihn denn eigentlich so aussergewöhnlich?

Ferdinand von Schirach ist einer der Grossen. Sein Buch Kaffee und Zigaretten trägt den Titel «Weltbestseller». Seine Kolumnen, Texte, Bücher liest man überall in der Welt. Zahlreiche seiner Titel wurden mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Er gehört zu den wenigen deutschen Autoren, die es auf internationales Terrain geschafft haben. Aber was macht ihn denn eigentlich so aussergewöhnlich?

Autobiografische Erinnerungen

Der 1964 in München geborene Autor ist Strafverteidiger. Von seinem Grossvater, dem NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach hast du vielleicht schon mal gehört? Für ihn empfindet Ferdinand allem voran Scham und Wut. Der Autor erzählt selten bis nie aus seinem Privatleben, doch im ersten Kapitel von Kaffee und Zigaretten erhalten wir einen exklusiven und autobiografischen Einblick in seine Kindheit. Allerdings auch hier distanziert, in der dritten Person:

Manchmal kommen Verwandte zu Besuch. Eine Tante riecht nach Maiglöckchen, eine andere nach Schweiss und Lavendel. Sie streichen mit ihren alten Händen über seine Haare, er muss sich verbeugen und ihnen einen Handkuss geben. Er mag es nicht, wenn sie ihn anfassen, er will nicht dabei sein, wenn sie sich unterhalten.»

Mit 15 Jahren stirbt sein Vater, Robert von Schirach. Einige Wochen später unternimmt Ferdinand einen Selbstmordversuch. Er ist zu betrunken, als dass er daran denkt, die Kugel ins Jagdgewehr zu stecken. Das ist die Zeit, in der er erfährt, was Synästhesie ist. Nun versucht er mit seiner Andersartigkeit klarzukommen. Als er 18 Jahre alt ist, erklärt er seiner Freundin, «Depressionen seien keine Traurigkeit, […] sie sind etwas ganz anderes.»

Kaffee und Zigaretten ist aus Bausteinen der Erinnerung von Ferdinand von Schirach gebaut. Er zappt durch die Geschichte und auf dem Zeitstrahl hin und her. Kurze und kürzere Kapitel geben nur das wieder, was ihm wichtig ist. Ähnlich einem japanischen Haiku:

Es gibt Geheimnisse und Anspielungen, die Geschichten lösen sich nie ganz auf, aber es gibt keine Metaphern, so wie es im Leben keine Metaphern gibt.»

Das Düstere, das Träge begleitet ihn überallhin. Als Strafverteidiger ist er ständig mit Mord und Tod konfrontiert. In seinen Büchern schreibt er oft über diese Themen. So überrascht es nicht, wenn seine Kapitel in Kaffee und Zigaretten mit einem letzten Satz oder dem Tod einer Person enden. Er macht sich Gedanken zum Recht. Doch irgendwann interessiert ihn die Schuld eines Verbrechens nicht mehr, sondern nur noch das Warum. Eine Unterteilung von Gut und Böse wird irrelevant.

Eine einzigartige Erzählstimme

Die Literaturkritik lobt Ferdinand von Schirach als einzigartige Erzählstimme, seinen individuellen, feuilletonistischen Stil. Und dass er Dinge abbildet, ohne sie zu werten. Ich bin ganz einverstanden. Das gelingt ihm grossartig. 

Was mir allerdings wirklich zu schaffen gemacht hat, ist die schwere Gefühlslage, die oft zwischen den Zeilen mitschwingt. Eine düstere Traurigkeit, Schatten und Leid begleiten nahezu jede Erinnerung. Ich muss ganz ehrlich gestehen: Es war für mich nicht einfach, dran zu bleiben und das Buch zu Ende zu lesen. «Glück ist eine Farbe und immer nur ein Moment», schreibt von Schirach. Ich finde das ein unglaublich passendes Bild.

Warum Kaffee und Zigaretten? 

Das habe ich mich während dem Lesen immer mal wieder gefragt. Zigaretten scheint mir klar. In den unterschiedlichsten Situationen wird eine Zigarette angezündet: Im Kino, im Restaurant wird geraucht, der Häftling raucht, obwohl er nicht darf. Die nackte Frau auf dem Balkon mitten in der Nacht raucht. Helmut Schmidt raucht. Und natürlich raucht auch Ferdinand von Schirach.

Aber wo bleibt der Kaffee?
Dann bin ich doch noch darauf gestossen: Heinrich Kleist und seine Freundin bestellen sich einen Kaffee, bevor sie auf der morgendlichen Terrasse Selbstmord begehen.

Was denkst du, warum von Schirach diesen Titel gewählt hat? Was ging dir als erstes durch den Kopf? Soll er alltägliche Situationen symbolisieren? Soll er ein Sinnbild für ein Innehalten und sich Gedanken machen sein? Soll er die Gefahr ansprechen, die im Unscheinbaren steckt?

Ich freue mich über deine Gedanken und Erfahrungen mit dem Buch – oder mit Ferdinand von Schirach.

Kaffee und Zigaretten

von Ferdinand von Schirach

btb Verlag | 2020 | 192 Seiten

ISBN 978-3-442-71974-7 | Taschenbuch

Zum Buch

2 Kommentare

  1. Chantal

    Herzlichen Dank für die tolle Rezension! Sie hat mich gerade unglaublich glustig gmacht dieses Buch zu lesen 😍 das bestelle ich mir gleich.

    Antworten
    • Noëmi

      Liebe Chantal, unbedingt! Das Buch ist echt toll. Ich wünsche dir viel Spass beim Lesen. 🙂

      Antworten

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