«Koala» von Lukas Bärfuss ist so ganz anders, als der Titel auf den ersten Blick verspricht. Woran hast du gedacht, als du Koala gelesen hast? Ein kuschliges Tier mit Knopfaugen, das an einen Baum geklammert friedlich Eukalyptus mampft? Dann gehts dir ähnlich wie mir. – Das Buch handelt aber von Suizid.
Der Freitod des eigenen Bruders
Tot liegt er in der Badewanne, um die Wohnung nicht zu verunreinigen. Die Nadel steckt noch in seinem Unterarm. Daneben liegt ein Testament, dessen Erstellung lediglich fünfzig Minuten in Anspruch genommen hat, eineinhalb Seiten lang. Mit einem Pokerabend hat er sich von seinen Freunden verabschiedet – nicht aber von seinem Bruder – bevor er sich mit fünfundvierzig Jahren den Goldenen Schuss gesetzt hat.
Der ich-Erzähler, der mit dem Autor weitgehend identisch ist, schweigt betroffen, weint, als er vom Tod seines Bruders erfährt. Doch bald schon drängen sich ihm Fragen auf. Warum hat er das getan? Er hatte doch keinen Grund! Oder etwa doch? Er hätte ihm doch geholfen, hätte er sich bloss an ihn gewandt. Arbeit zu finden. Aus all den Fragen wächst bald Wut und Unverständnis.
Ich blieb ein Gefangener meiner Erfahrung, verletzt von der Tat eines anderen, verletzt von der Gewalt, die ich plötzlich überall sah. Im Grossen wie im Kleinen, ich sah in der Gewalt das einzige Prinzip, nur sie schöpfte und zerstörte, eine einzige Aufbäumung, alle im Kampf gegen alle.
Und dann drängen sich die Erinnerungen ins Bewusstsein. Automatisch werden sie gefiltert: Wo hat es begonnen? Wann hat der Bruder den einen Abzweiger genommen, sodass der Suizid unausweichlich wurde? Schuldgefühle begleiten den Erzähler. Einsamkeit. Er will verstehen, warum sein Bruder diese Tat begangen hat und macht sich auf die Suche. Und die führt ihn erstmal ins Pfadilager.
Ein Koala als Totem
Ein gefährliches und mutiges Tier als Totem zu haben, hatte sich der Bruder gewünscht. Ein Tiger, ein Panther. Das würde ihm gefallen. – Doch dann hatten sie ihm den Koala zugewiesen. DEN KOALA. Welche Karikatur der Harmlosigkeit! Welche Kreatur der Faulheit!
Mit detektivischem Spürsinn geht der Erzähler ans Werk, als er die Ursprünge dieses Tiers erforscht und Parallelen zu seinem Bruder sucht. Plötzlich befinden wir uns inmitten des Australiens vor jeder menschlicher Zivilisation und erleben mit wie die Engländer eine Kolonie mit englischen Häftlingen zu gründen versuchen. Beinahe verlieren wir uns bei diesem Unterfangen.
Ohne Ehrgeiz sind wir für das Leben verloren
Wir Menschen leben für die Arbeit, sagt der Erzähler. Ohne Ehrgeiz sind wir nichts. Es fehlt jegliches Ziel im Leben. Darum fürchten wir uns vor einem Wesen wie dem Koala, das sich nichts aus K(r)ampf und Arbeit macht.
Das Prinzip ihrer Existenz, die Ehrgeizlosigkeit, sollte sich nicht frei entwickeln dürfen, zu groß war die Gefahr und die Provokation. Was den Menschen ausmachte, war sein Ehrgeiz, das unausgesetzte Streben, die Unfähigkeit, stillzusitzen.
Immer wieder fragt sich der Erzähler: Ist der Bruder mit seinem Leben gescheitert? Oder hat er es alleine richtig gemacht und uns allen die Freiheit vorgezogen? Lukas Bärfuss stellt die Frage in den Raum «Warum sind wir eigentlich noch da?» und provoziert – uns und unsere Sicht auf Arbeit und Suizid.
Keine leichte Kost
Unweigerlich setzen wir uns beim Lesen dieses Buches mit Themen auseinander, über die wir im Alltag kaum freiwillig nachdenken würden. Insofern empfand ich «Koala» als bereichernd. Doch war es für mich nicht leicht, dranzubleiben. Die Thematik ist schwer. Da kommt die Parallelgeschichte der Erforschung des Koalas auf jeden Fall gelegen, um zwischendurch auf «andere Gedanken zu kommen».
Lest unbedingt zu Ende! Auch wenn euch die Erzählung auf halbem Weg aufgrund des nüchternen Stils womöglich etwas abgeklärt erscheinen mag. Oder euch der Teil in Australien lang erscheint. Es lohnt sich. – Das Buch ist übrigens mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Schweizer Buchpreis.
Koala
von Lukas Bärfuss
btb Verlag | 2016 | 129 Seiten
ISBN 978-3-442-74908-9 | Taschenbuch
Hallo, das klingt wahrlich nach keinem Buch, dass man so nebenbei lesen kann. Ich mag herausfordernde Bücher, die aufgrund ihrer Emotionalität nicht immer leicht zu lesen sind. Gerade habe ich auch eines beendet, dass es in sich hatte.
Hab einen schönen Sonntag,
Zeilentänzerin
Ja, «Koala» ist auf jeden Fall ein Buch, das die volle Aufmerksamkeit beansprucht.