Kennst du den hübschen Bonstettenpark im Thuner Gwatt? Falls nicht, empfehle ich dir unbedingt einen Besuch. Wenn du einen Hund hast, nimm ihn gleich mit, denn im Bonstettenpark gilt für einmal keine Leinenpflicht. 🐕
Dies ist einzig und allein Betty Esther Charlotte Laure Lambert (1894–1969), kurz Betty zu verdanken, der Baronin und jahrelangen Besitzerin des Thuner «Gwatts». Sie war Hundeliebhaberin und hat beim Verkauf des Guts verordnet, dass Hunde jederzeit leinenlos im Bonstettenpark sein dürfen.
La Grande Dame im «Gwatt»
Betty war eine bemerkenswerte Dame im angehenden 20. Jahrhundert: «Jüdin, Bernburgerin, die Tochter eines Rothschild-Banquiers und Financiers von König Leopold II. und eine Rothschild-Nachfahrin aus Paris». In Brüssel geboren, wurde sie nach Frankfurt a. M. verheiratet. Nach der Scheidung von Rudolf von Goldschmidt-Rotschild (1881–1962) kam sie aus dem ihr verhassten Deutschland in die Schweiz.
1921 heiratete Betty in London den Schweizer und Bernburger Johann Jakob Arthur Alfons von Bonstetten (1897–1975) und liess sich mit ihm in der Sommerresidenz am Thunersee nieder, sich aber bald wieder von ihm scheiden. Im «Gwatt» nahm Bettys selbstbestimmtes Leben schliesslich seinen Lauf.
Drehscheibe und geheime Treffen im Berner Oberland
Die streng erzogene jüdische Gastgeberin liess das «Gwatt» während dem 2. Weltkrieg zu einem internationalen Place-to-be werden. Betty pflegte ein beachtliches Netzwerk, ihr Gästebuch weist hohe Gäste aus aller Welt aus. So kam es, dass bald geheime politische Treffen als Soirées getarnt in ihren Räumlichkeiten stattfanden oder bekannte Künstlerinnen und Künstler sich die Klinke in die Hand gaben. Flüchtende aus Deutschland versorgte Betty für die Weiterreise mit Kontakten, Geld und Verpflegung.
Nach glanzvollen vierzig Jahren im «Gwatt», hiess es aber auch für Betty 1960 Abschied nehmen – und genau da knüpft die Erzählung von Franziska Streun an. In der Woche vor ihrer Abreise nach Genthod besuchen sie Familie und Freunde ein letztes Mal am Thunersee. Erinnerungen und Wunden reissen auf, in zahlreichen Rückblenden erfahren wir vom lebhaften Mädchen, das später als unnahbar bezeichnet, zur geachteten Baronin wurde, die alle und alles unter Kontrolle hatte.
Ein Zeitbild – gut recherchiert und detailliert
Betty Biografie wird zum zentralen Thema des Buches. Teile davon können aber ebenso gut als Zeitbild der scheinbar neutralen Schweiz und deren Haltung im 2. Weltkrieg gegenüber Nazi-Deutschland gelesen werden. Streun erzählt davon, wie die Einbürgerung von Bettys (jüdischen) Söhnen viel Geduld erforderte, davon, dass Juden mittels Judenstempel beim Einreisen in Dokumenten kenntlich gemacht wurden und auch von Frontisten ist die Rede.
Die Baronin im Tresor ist allumfassend informativ und trotz der Fülle an Details angenehm zu lesen. Die Recherche hat Streun ernst genommen, das spürt man und das macht das Buch meines Erachtens auch so wertvoll. Was ich mir vielleicht ab und an gewünscht hätte, wäre eine konfliktreichere Verknüpfung der Rahmenhandlung. Die Abschiedswoche weist kaum Reibungspunkte auf, die Erinnerungen reihen sich scheinbar nahtlos aneinander.
Alles in allem: Ein schönes historisches Werk, das für Ortsansässige umso spannender ist, da es einen bereits bekannten Ort, in meinem Fall den Bonstettenpark, um eine Dimension erweitert. Danke dafür, Franziska Streun!
Übrigens, auf der Website der Autorin gibts vielfältiges und schön aufbereitetes Bonusmaterial zum Buch: Familienstammbaum, Kurzbiografien, Factsheets, ja sogar die Originalseiten von Bettys 147-seitigem Gästebuch findest du da!
Die Baronin im Tresor – Betty Lambert | von Goldschmidt-Rothschild | von Bonstetten
von Franziska Streun
Zytglogge Verlag | 2020 | 352 Seiten
ISBN 978-3-7296-5041-1 | Hardcover
Disclaimer: Rezensionsexemplar vom Verlag
Hey Noëmi, danke für deine lieben Worte auf meinem Blog! Romane mit geschichtlichem Hintergrund mag ich sehr. Mir hat deine Rezension gut gefallen, auch, weil ich auf ein Buch aufmerksam wurde, das mir so wohl nicht in die Hände gefallen wäre.
Liebe Grüße,
Zeilentänzerin