Jonathan Lee: Der grosse Fehler

Kennst du Andrew Haswell Green (1820 – 1903)? Oder anders gefragt: Kennst du den Central Park in New York? Wo die Eichhörnchen auf den hohen Bäumen turnen?

The Father of Greater New York

Nun, Andrew Haswell Green ist im Grunde hauptverantwortlich dafür, dass es diesen Park überhaupt gibt. Er war Anwalt und Stadtplaner in New York und wird für seine dem Gemeinwohl dienenden Leistungen heute auch gerne «the Father of Greater New York» genannt. Eine steinerne Bank im Central erinnert bescheinen an den grossen Mann.

Der neue Roman von Jonathan Lee Der grosse Fehler will ihm nun die Wertschätzung entgegenbringen, die ihm gebührt. Und seinem unerwarteten und erschütternden Tod literarisch auf den Grund gehen: Andrew Haswell Green wurde im Alter von 83 Jahren vor seiner eigenen Haustür erschossen. An einem Freitag, dem 13.

Kriminal- oder biografischer Roman?

Andrew Greens Leben bietet grossartigen Stoff für einen Kriminalroman. Doch nicht nur das: Lee lässt uns in seiner gut recherchierten Erzählung tief in die Seele von Andrew Green blicken. Er zeichnet realistische Gedankengänge oder Angewohnheiten, die teilweise überliefert sind und zieht uns Leser:innen damit in den Bann.

Die Rahmengeschichte von Der grosse Fehler löst den Fall rundum Greens Tod. Wir begleiten die Polizei bei ihren Ermittlungen und fiebern mit. Immer mal wieder tauchen wir ab in Andrew Greens Vergangenheit und erfahren dort von seiner Kindheit und seinem Werdegang. Davon, wie er es von ganz unten nach ganz oben geschafft hat.

Living the American Dream

Es ist eindrücklich mitzuerleben, wie Andrew sich kontinuierlich und aus eigenen Kräften nach oben arbeitet. Welche Etappen sein Leben nimmt (vom Mitarbeiter einer Zuckerrohr-Plantage zu einem der einflussreichsten Männer New Yorks) und wie aus einer Situation und Voraussetzung eine nächste wächst.

«Die Erfahrung mit der Verbesserung der Entwässerung in Trinidad war erstaunlicherweise konkret und hilfreich. Seltsam, wie seine gesamte Vergangenheit bei der Arbeit an der Zukunft ins Spiel kam. Das Konzert kaum miteinander verbundener Momente, die ein Leben ausmachen.»

– Seite 237

Zurückhaltung

Gleichzeitig tat es mir beim Lesen weh, mitzuerleben, wie Green sich selbst und seine Bedürfnisse immer wieder zurückhielt – des Rufs und Erfolgs wegen. Lee schildert einen Menschen, der Grossartiges leistet, sich selbst in gehobenen Kreisen aber oft als Hochstapler fühlt: Im Herzen bleibt er der bescheidene und hart arbeitende Mann, der er ist.

👍 Ein spannendes Stück Literatur, das sowohl aus historischer als auch erzählerischer Sicht viel bietet. Man sollte die einzelnen Kapitel allerdings als eine Art Puzzleteil betrachten, die man im Kopf zur Story vervollständigen kann. Lies man das Buch in der Erwartung einer lückenlosen Erzählung, fühlt man sich möglicherweise etwas in der Geschichte hin und her geworfen. Mir ging es zumindest so.



«Die Welt besteht aus Fehlern und Flickversuchen. Und manchmal aus seltsamen Missverständnissen. Andrew Green ist tot. Erschossen am helllichten Tag, an einem Freitag, den 13. Spekulationen schiessen ins Kraut. Verdankt New York dem einstigen Aussenseiter doch unter anderem den Central Park und die New York Public Library. Inspector McClusky nimmt die Ermittlungen auf. Was wussten die übereifrige Haushälterin, der Präsidentschaftskandidat Tilden und die brillante Bessie Davis, der halb New York zu Füssen liegt?»
Jonathan Lee: Der grosse Fehler. Diogenes Verlag, 2022. ISBN: 978-3-257-61271-4, 281 Seiten.


Disclaimer: Rezensionsexemplar vom Verlag

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2 Kommentare
  • Marie
    Veröffentlicht um 14:24h, 17 April Antworten

    „Man sollte die einzelnen Kapitel allerdings als eine Art Puzzleteil betrachten, die man im Kopf zur Story vervollständigen kann.“
    Für mich klingt das sehr spannend, liebe Noëmi. Ich behalte das Buch im Hinterkopf.
    Liebe Grüße
    Marie

    • Noëmi
      Veröffentlicht um 09:59h, 06 Mai Antworten

      Vielen Dank, liebe Marie. 🙂

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