Als Kind habe ich die Bücher von Federica de Cesco unhinterfragt verschlungen. Inzwischen muss ich zugeben, ist es schon ein Weilchen her, seit ich das letzte Mal ein Buch von ihr in den Händen hatte. Das Lesen von Muschelseide war für mich darum ein sehr interessantes Erlebnis: Es war spannend zu sehen, wie sich mein Blick auf ihren Stil in den letzten paar Jahren verändert hat und ich kritischer geworden bin. Aber so viel sei bereits verraten: Überzeugt hat mich die Autorin dennoch.
Die Königin der Verben
Was ich an Federica de Cescos Schreibstil sehr bewundere, ist ihre lebendige Erzählweise. Inzwischen habe ich auch herausgefunden, wie sie das schafft: Sie verwendet Verben meisterhaft, hat einen riesigen Wortschatz und findet immer genau das richtige – manchmal wohltuend irritierende – Wort. Das ist mir bisher bei keinem anderen Autoren, bei keiner anderen Autorin so aufgefallen.
«Unterhalb der Klippen dehnte sich das spiegelglatte Meer. Die Steinböcke, in betonter Verbundenheit mit Himmel und Erde, erhoben sich unversehrt aus den alten Ruinen. Sie waren grau, von ursprünglicher Nacktheit und wahrhaft gewaltig. Der Ort war erfüllt von Stimmen und Geistern. Sie flüsterten, längst zeitlos geworden, im Wind und in den Höhlungen der Steine, wo Ameisen krabbelten und Eidechsen huschten.»
– Seite 157
Die Autorin beschreibt Szenen oft ausschweifend, was die Geschichte leider etwas verlangsamt. Träge wird sie jedoch nie – denn dank der vielen Verben und einzigartigen Wortkombinationen bleibt die Handlung dynamisch und spannend.
Japan und Malta zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Muschelseide spielt hauptsächlich in Valetta auf Malta. Teile der Erzählung sind historisch basiert. Das Schiff Transylvania übernimmt in der Geschichte beispielsweise ein wichtige Rolle. Auch die wenig bekannte Zusammenarbeit zwischen Japan und Malta zu Beginn des 20. Jahrhunderts und während der Kriege wird thematisiert.
Ein kostbares Tuch
Eine der Hauptgeschichten dreht sich um ein sehr wertvolles Tuch, das aus den Haftfäden (Byssus) von Steckmuscheln gewonnen wird. Beata, die Protagonistin von Muschelseide, ist Meeresbiologin und Apnoetaucherin und geht in dem Roman der Frage nach, inwieweit das jahrhundertealte Handwerk der Gewinnung von Muschelseide in einer neuen Tradition weiterleben kann.
Cecilias tragisches Schicksal
Dramaturgisch geschickt hat Federica de Cesco auch eine tragische Familiengeschichte mit den anderen Erzählsträngen verwoben. So bringt der Besuch der Grosstante Francesca, die einen Schal aus Muschelseide ins Spiel mitbringt, die Handlung erst richtig ins Rollen. Plötzlich sind da geisterhafte Geschichten, tragische Schicksale, ungelebte Träume. Und Liebe auf den ersten Blick. Gleich doppelt. Am Ende bleibt nur die Frage: War es Schicksal?
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