Wer hat Lust auf einen historischen Roman? Diesmal entführt uns Erika Weigele ins Jahr 1273 nach Zürich.
Ein Buchmaler in klerikalen Kreisen
Die Handlung von «Der Buchmaler von Zürich» spielt weitgehend in einem religiösen Rahmen. Doch die Geschichte selbst hat wenig mit Frömmigkeit zu tun: Es geht um einen jungen Mann, der seine unbekannten Eltern sucht, sich in eine Frau anderen Standes verliebt und sie heiraten will:
Bertram, ein begabter Schreiber und Buchmaler, wächst im Zürcher Grossmünsterstift auf. Unter der Obhut seines Ziehvaters, des Gelehrten Konrad von Mure, steht ihm eine glänzende Zukunft bevor. Doch als Bertram zum Konzil nach Lyon reisen soll, um das Geheimnis seiner Herkunft zu lüften, schwebt nicht nur er plötzlich in Lebensgefahr.
Historische Persönlichkeiten treffen aufeinander
Erika Weigele setzt die Geschichte in ein gut recherchiertes historisches Setting. So spielt zum Beispiel König Rudolf von Habsburg (1218-1291) eine Rolle im Buch. Auch die Figur des Ziehvaters Konrad von Mure (1210-1281) ist einer historischen Persönlichkeit nachempfunden. Oder der Propst Heinrich I. von Klingenberg sowie sein Neffe Heinrich II. von Klingenberg (1240-1306) finden ihren Weg ins Buch.
Ebenso sind historische Ereignisse wie die Krönung Rudolfs von Habsburg am 24. Oktober 1273 oder der verheerende Stadtbrand von Zürich 1281 in die Handlung eingeflochten. Die Hauptfiguren und Handlungen des Buches sind jedoch frei erfunden.
Eine wertvolle Handschrift bildet den Ausgangspunkt
Die bebilderte Handschrift «Wilhelm von Orlens» des Rudolf von Ems wird heute als Codex Cgm 63 in der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrt und dient nicht nur als Requisite im Buch, sondern auch faktisch als Ausgangspunkt für «Der Buchmaler von Zürich». In digitaler Form ist der Codex Cgm 63 hier zu finden. Das 700 Jahre alte Buch ist so wertvoll, weil es ein Novum darstellte:
Der weltliche Roman ist mit Blattgold und Farben illustriert und verziert, wie es damals nur den liturgischen Schriften vorbehalten war. Die Autorin Erika Weigele hat ihre Dissertation über dieses faszinierende Schriftstück geschrieben. Und Jahre später dann auch den hier besprochenen Roman:
«Die drögen Fakten habe ich dann in meiner Dissertation abgehandelt, aber so ganz abgeschlossen hatte ich mit dem Thema nicht. Jahrzehnte später entstand während eines Schreibseminars die Idee, daraus einen Roman zu machen und auf diese Weise Geschichte lebendig werden zu lassen.»
– Seiten 530–531
Und die Geschichte lebendig werden zu lassen, das hat sie eindeutig geschafft.
Religion und Sittenlosigkeit
Ich tauchte ein in das Jahr 1273. Bin durch die engen, stinkenden Gassen von Zürich gelaufen. Vorbei am Grossmünster bis zu den Beginen im Niederdorf. Nicht nur den beissenden Gerüchen aus dem Abwasser der Gerber, steinernen Mauern, Männern in Kutten oder Frauen über dampfenden Kochtöpfen bin ich begegnet, sondern auch den Sitten von damals. Nicht umsonst titelt der Klappentext «Ein buntes Sittengemälde der gar nicht frommen Klosterlandschaft Zürichs im Hochmittelalter».
Im grossen Ganzen spielt die Geschichte in einer Zeit, in der die Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner grossen Zulauf haben. Diese werden durch Pater Otto im Buch personifiziert. Sie prangern den Machtmissbrauch der etablierten Kirche, die zunehmende Sittenlosigkeit und den schleichenden Verfall der Bildung an.
👉 Ich habe die über 500 Seiten sehr gerne gelesen. Die Liebesgeschichte fühlt sich echt an, die historische Umgebung ist greifbar und realistisch. Und Bertram ist eine durch und durch sympathische Hauptfigur: charismatisch, begabt und bescheiden. Ich mag ihn.
Der Buchmaler von Zürich
von Erika Weigele
Gmeiner Verlag | 2023 | 544 Seiten
ISBN 978-3-8392-0465-8 | Taschenbuch mit Klappumschlag
Disclaimer: Rezensionsexemplar von Autorin
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