Fatou Diome: Was es braucht, das Leben zu lieben

Roman | In «Was es braucht, das Leben zu lieben» von Fatou Diome fand ich eine Sammlung von Kurzgeschichten, die alle dieselbe Frage zu beantworten versuchen: Was brauchen wir, um das Leben lieben zu können?
TAGS: Romane
Das Buchcover von «Was es braucht, das Leben zu lieben» von Fatou Diome wird von einer Hand vor die grünen Blätter einer mächtigen Strelitze gehalten. Im Hintergrund sind Fenster mit Holzrähmen zu sehen.

Die Autorin stellt in den Geschichten verschiedene Figuren vor, Menschen wie du und ich, Helden des Alltags, die mit unterschiedlichen Voraussetzungen ins Leben geboren wurden. Sie alle haben einen inneren Konflikt und realisieren an einem Punkt früher oder später und mehr oder weniger bewusst, was es für sie braucht und heisst, das Leben zu lieben.

«Ich bin müde, einfach nur müde! Ein voller Teller reicht hier unten nicht, man braucht etwas, um das Leben zu lieben.»

– Seite 116

Poesie kĂĽsst klare Worte

Ich bin klar ein Fan von einfachen Worten. Bücher, die zu abstrakt oder blumig formuliert sind, lese ich eigentlich nicht so gerne. Darum habe ich anfangs auch einen Moment gebraucht, um mich auf dieses Buch hier einzulassen. Aber zum Glück habe ich’s getan.

Denn es hat seine Wirkung dann doch noch entfaltet. Nach den Lesen habe ich immer mal wieder über die Figuren und ihre Geschichten nachgedacht. Bin nicht sicher, ob ich das auch so intensiv getan hätte, wenn mir die Botschaften auf einem Silbertablett serviert worden wären.

Politische Aspekte

Einzelne Geschichten (besonders die gegen Ende des Buchs) nehmen auch politische Elemente auf. So ist zum Beispiel von den afrikanischen Güterschätzen die Rede und dem Raub dieser Schätze durch Europa. Damit sind nicht nur Erdöl und andere Rohstoffe gemeint, sondern auch Lebewesen wie Fische, die den Inselbewohnenden als Nahrung und Lebensunterhalt dienen.

Fischer auf kleinen Inseln, die genauso wie ihre Eltern, Gross- und Urgrosseltern und viele weitere davor vom Fischen gelebt haben, können dies heute nicht mehr. Weil (hauptsächlich) westliche Länder die Meere systematisch leer fischen. Die Netze der Inselbewohnenden bleiben leer, genauso wie ihre Mägen. Es kann gar nicht genug an diese Ungerechtigkeit erinnert werden. Vielleicht gleichen sich diese Dinge eines Tages aus und Afrika erhält die Bodenschätze zurück – oder wird zumindest gerecht dafür entschädigt. Vielleicht. Ich hoffe es.

Was ich fĂĽr mich mitnehme

Das Buch hat mir so viele Botschaften mitgegeben, ich weiss gar nicht so richtig, wo beginnen. Vermutlich werde ich das Buch bald mal wieder lesen und garantiert noch viele weitere Aspekte entdecken. Ich beschränke mich hier mal auf 5 Take-aways:

1. Führe echte Gespräche

Wie Gespräche ablaufen, ist oft unbewusst vorgegeben. «Hallo, wie geht’s?» Und wer, bitteschön, meint diese Frage tatsächlich ernst? Die Antwort auf eine nicht ernst gemeinte Frage könnte wohl kaum uninteressanter sein. Darum: Sei ehrlich. Stelle ernst gemeinte Fragen. Führe echte Gespräche, abseits von konventionellen Erwartungen, Rahmen und Mustern.

«Nicht nur Obst und Gemüse müssen frisch sein; Gespräche, die nicht erfrischen, sind tödlich für die Lebensfreude.»

– Seite 66

2. Neide andere nicht

Und zwar aus einem einfachen Grund: Andere haben andere Fähigkeiten als du. Finde heraus, wo deine Stärken liegen und investiere da. Lasse den anderen ihren Erfolg einfach – und freue dich im besten Fall mit.

3. Lasse alte Erwartungen und Emotionen los

Was geschehen ist, ist geschehen. Warum also länger darauf rumreiten? Weil wir es meistens nicht besser wissen und gar nicht merken, dass wir uns von alten Erwartungen oder Emotionen leiten lassen. Loslassen tut der Seele gut.

4. Mache einfach

Warum lassen wir uns aus Angst zu versagen oder Abweisung die besten Chancen entgehen? «Ich trau mich nicht!», «Das tut man nicht!» oder «Was werden wohl die anderen denken?» sind Geschwister und alle drei sind ähnlich unsinnig.

5. Lebe frei

Warum müssen wir uns ständig selbst etwas beweisen? Wir atmen schier Leistung. Können wir nicht einfach frei und glücklich leben? So wie letztlich einer der Protagonisten aus dem Buch:

«Er musste sich nichts mehr beweisen, er wollte nur leben, frei und glücklich leben.»

– Seite 133

👉 Ein Buch, das vor allem im Nachgang wirkt, als ich über die Geschichten nachdachte. Es bietet viel Interpretationsspielraum, die Figuren zeigt sich in schillernden Facetten. Ein schönes Buch, eine neue Erfahrung für mich und Quelle, aus der ich noch lange schöpfen werde.

Und weil sie so schön sind …

… folgen hier noch ein paar weitere Zitate aus dem Buch:

«Mein lieber Andy, behindert sind nicht immer die, die so aussehen; manche Leute haben eine deformierte Seele.»

– Seite 64

«Auf dem perfekten Schwung ihrer Hüften unterschrieben, hätte ein Friedensvertrag für die Ewigkeit gehalten, so harmonisch waren ihre Proportionen.»

– Seite 130

«Ticktack, ticktack vergeht die Zeit, nur die vertrackten Fragen des Takts, die den Kontakt eher mindern als fördern, bleiben sich gleich.»

– Seite 132

«Wer seine Träume vergisst, wächst nicht mehr.»

– Seite 227
Das Coverbild von «Was es braucht, das Leben zu lieben» von Fatou Diome zeigt eine steinerne Mauer mit einer Treppe im unteren Teil des Bildes, eine afrikanische Frau in einem knalligen orangen Kleid, die nach rechts auf der Mauer geht. Im Hintergrund sind Büsche und der Himmel zu sehen.

Was es braucht, das Leben zu lieben

von Fatou Diome

Diogenes Verlag | 2023 | 240 Seiten

ISBN 978-3-257-07248-8 | Hardcover mit Schutzumschlag

Zum Buch

Disclaimer: Rezensionsexemplar von Verlag

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

10 − 10 =

Buchcover neben Zimmerpflanze: Das Leuchten ĂĽber den Klippen

Sophia Cronberg: Das Leuchten ĂĽber den Klippen

Historischer Roman | Irland 1116, 1867 und heute. Eine Insel, ein Duzend Mönche, eine Leuchtturmfamilie, eine Schriftstellerin, ein Historiker und jede Menge spannende Verknüpfungen von Vergangenheit und Gegenwart. Das sind die Zutaten aus denen «Das Leuchten über den Klippen» gemacht ist – ein gelungenes Rezept.

Buchcover vor Holzhintergrund

Lukas Bärfuss: Koala

«Koala» von Lukas Bärfuss ist so ganz anders, als der Titel auf den ersten Blick verspricht. Woran hast du gedacht, als du Koala gelesen hast? Ein kuschliges Tier mit Knopfaugen, das an einen Baum geklammert friedlich Eukalyptus mampft? Dann gehts dir ähnlich wie mir. – Das Buch handelt aber von Suizid.

Bernhard Aichner: Totenfrau

Blum, die Bestatterin. Blum, die liebende Ehefrau. Blum, die glückliche Mutter. Und dann plötzlich: Blum, die Witwe. Unfall mit Fahrerflucht. Das Leben ausgehaucht, das ganze Glück, die Sicherheit, der Halt – alles weg. Und warum? Die Antwort liegt 5 Jahre zurück.